Samstag, 28. Juli 2012

Größenwahn

Da ich mich sehr für Wissenschaft und Forschung interessiere, schau ich gerne interessante Berichte und Dokumentationen zu diesen Themen. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass viele Abbildungen, gerade wenn es um „unvorstellbare“ Größenordnungen geht, sehr schlecht dargestellt werden.
Zum Beispiel werden Abstände und Größenverhältnisse im Sonnensystem sehr verzerrt. Da erscheint eine große Erde gleich neben der Sonne und der virtuelle Flug zum nächsten Planeten ist in Sekunden erledigt.
Zeitliche Veränderungen im Kosmos, die meist Millionen, wenn nicht Milliarden Jahre dauern, laufen (dank Computer Simulation) in Sekunden ab und erscheinen für den unkritischen Zuschauer, als würde das „in Echt“ so ablaufen. Ich erinnere mich da z. B. an eine Sequenz, in der die Verschmelzung der auf die Milchstraße zu rasenden Andromeda Galaxie mit unserer gezeigt wird. Der Vorgang, der in ferner (!) Zukunft1 „passieren“ wird, wird sich dann über einen riesigen Zeitraum2 erstrecken. In dem Video sieht es jedoch so aus, als würde es sich wie in „normaler“ Zeit abspielen. Natürlich muss man es so viele Male3 schneller abspielen, aber man sollte einen deutlicheren Hinweis auf diesen Zeitraffer geben. Es sind Zeiträume, die einfach alles Irdische überschreiten.

Ebenso werden die Dinge, die die Evolution betreffen, missverständlich kommentiert. Zum einen wird immer wieder gesagt, dass Tiere & Pflanzen sich entsprechend entwickelt haben, um sich ihrer Umgebung anzupassen. Das hört sich dann so an, als wäre das zielgerichtet und gewollt gewesen. Dass es sich hierbei um zufällige Mutationen des Erbgutes handelt und durch Selektion die, die eine vorteilhafte Mutation hervorbringen, besser überleben und, dass sich das Ganze in immensen Zeitintervallen abspielt, wird meist unterschlagen.

Davon, dass vielerorts unpassende Bilder zu den Erklärungen gezeigt werden, will ich hier erst gar nicht anfangen…

Der Mensch ist eigentlich nur in der Lage sich die Dinge vorzustellen, die seiner täglichen Erfahrung entsprechen. Also sich mehr oder weniger in seiner eigenen Größenordnung von 1 Meter, 1 Sekunde, 1 Kilogramm abspielen. Alles, was sich etwa um den Faktor 1000 davon unterscheidet, ist nur noch schlecht zu erfassen.
Um sich kleine und große Zahlen zu veranschaulichen, kann man versuchen, sie auf „Normalmaß“ runter zu brechen. Ich möchte das hier an zwei Beispielen tun, die man sich dann vielleicht auch mal merken kann.

Zum einen die Größenordnungen unseres Sonnensystems.

Dazu schrumpfen wir mal unsere Sonne auf die Größe einer Apfelsine4 in unserer Hand. Dann hat unsere Erde nur noch den Durchmesser eines Mohnsamens5 und ist über 10 Meter entfernt.
In der Natur bzw. im All gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Zum Beispiel den größten bekannten Stern VY Canis Majoris, der in diesem Maßstab 200 Meter groß ist und damit in unser Sonnensystem versetzt bis zur Saturnbahn reichen würde. Ist das noch vorstellbar?

Durchmesser Abstand zur Sonne
Sonne 10,00 cm
Merkur 0,4 mm 4,16 m
Venus 0,9 mm 7,77 m
Erde 0,9 mm 10,75 m
Mond 0,2 mm 2,8 cm
(zur Erde)
Mars 4,9 mm 16,38 m
Jupiter 10,3 mm 55,92 m
Saturn 8,7 mm 102,97 m
Uranus 3,7 mm 206,35 m
Neptun 3,6 mm 322,92 m
Pluto12 0,2 mm 424,31 m
Voyager 2 1 nm6 1,29 km
Proxima Centauri7 14,50 cm 2.868 km
VY Canis Majoris8 200 m 2.718.678 km
Milchstraße 81.560.345 km 17.671.408 km
(zum Mittelpunkt)
Andromedagalaxie 1.699.173.851 km

Um den riesigen Abstand in diesem Vergleich zum nächsten(!) Stern Proxima Centauri zu verdeutlichen: Die Entfernung entspricht der Luftlinie Lillehammer (Norwegen) — Malta im Mittelmeer.
Bei den Größen und Entfernungen innerhalb der Michstraße oder gar von Galaxien bricht dieser Vergleichsmaßstab dann aber auch schon wieder völlig zusammen. Zum Beispiel müsste man fast 68 mal um die Erde laufen um zu VY Canis Majoris zu gelangen. Zur Andromedagalaxie fast 42.400 mal! Und bedenken muss man auch, dass dazwischen absolute9 Leere ist!
Zum Vergleich 1 Lichtjahr entspricht in diesem Maßstab ca. 680 km, Luftlinie Lübeck — Freiburg.

UPDATE: Josh Worth hat sich die Mühe gemacht das Sonnensystem maßstabsgerecht auf den Bildschirm zu bringen. In etwa dem gleichen Maßstab wie oben beschrieben:
If the moon were only 1 pixel“ Viel Spaß beim scrollen…

Als zweites Beispiel mal ein paar Daten auf der Zeitachse.

Hier normieren wir das (ungefähre) Alter der Erde10 auf ein Jahr, 365 Tage, und starten am 1. Januar. Das erste einzellige Leben entwickelt sich nach dieser Zeitskala schon nach rund 2 Monaten.
Es dauert aber dann bis zur Jahresmitte bis erste Mehrzeller anfangen die Erde zu bevölkern. Erst Mitte November sind Pflanzen an Land und am 1. Dezember kriechen die ersten Wirbeltiere an Land.
Die Ära der Dinosaurier auf der Erde beginnt am 13. Dezember und endet am späten Abend des zweiten Weihnachtsfeiertages.
Erste Spuren von Hominiden auf zwei Beinen findet man am Nachmittag des Silvestertages um 16:52 Uhr. Der moderne Mensch (Homo sapiens) betritt die Bühne erst um 23:37 Uhr. Der weltberühmte Ötzi verstirbt 23:59:23 Uhr, Christi Geburt war um 23:59:46 Uhr. Der Mensch erobert 0,3 Sekunden vor Mitternacht den Weltraum.

Besonders bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass die Zeitspanne, in der die Dinosaurier die Welt beherrschten, mit 13 Tagen um so vieles länger ist als die, in der sich die Gattung Mensch (inkl. der Frühmenschen) entwickelt hat — gerade mal ¼ Tag. Wenn wir uns also nicht selbst vernichten — oder uns der Himmel auf den Kopf fällt — dann hat die Menschheit noch einiges vor…

Und wer Angst hat, dass die Sonne in Zukunft einmal aufhört zu scheinen bzw. sich erst in einen Roten Riesen aufbläht und dann in einen Weißen Zwerg verwandelt, der kann beruhigt sein, das wird — in dieser Zeitskala — noch über ein weiteres Jahr dauern.
Jedoch wird es für die Lebewesen auf der Erde schon vorher sehr ungemütlich werden. Denn die Leuchtkraft der Sonne wird sich (weiterhin) stetig erhöhen und somit in ca. 2,4 Monaten die Oberflächentemperatur der Erde um 30°C und in weiteren 2,6 Monaten auf über 100°C erhöhen. Sieht also schlecht aus für unsere Urenkel13.

Ereignis Datum Uhrzeit
Die Erde bildet sich 1.1.
Entstehung des Mondes 2.1.
Einzelliges Leben entsteht 1.3.
Pilze, erste vielzellige Tiere 13.6.
Erste Landpflanzen 21.11.
Landgang der Wirbeltiere 1.12.
Erste geflügelte Insekten 2.12.
Erste Dinosaurier 13.12.
Ende der Dinosaurier 26.12.
Laetoli Fußspuren
Erste Spuren eines zweifüßigen Hominid
31.12. 16:52:35
Homo rudolfensis
älteste Art der Gattung Homo
31.12. 19:22:46
Erster Homo sapiens
Moderner Mensch
31.12. 23:37:28
Neandertaler 31.12. 23:44:59
– 23:47:45
Erfindung des hölzernen Wagenrads 31.12. 23:59:18
Ötzi stirbt 31.12. 23:59:23
Die Ägypter bauen die Pyramiden 31.12. 23:59:28
Christi Geburt 31.12. 23:59:46
Erfindung des Fernrohrs 31.12. 23:59:57,20
Mondlandung 31.12. 23:59:59,70

In dieser Zeitskala war der Urknall11 vor mehr als 3 Jahren.

Vielleicht hat diese Zusammenstellung ein bisschen geholfen, sich große Dinge und Zeiten vorzustellen.

  1. In ca. 4 Milliarden Jahren. Blicke in den Nachthimmel in der Zukunft.
  2. ca. 4 Milliarden Jahre
  3. ~3,2 Billiarden (3.200.000.000.000.000)
  4. Durchmesser 10 cm
  5. 0,9 mm
  6. 1 nm = 0,000 000 1 cm
  7. Nächstgelegener Stern
  8. Größter bekannter Stern
  9. Durchschnittliche Teilchenzahl in der Milchstraße: 1 Teilchen pro 1 cm3
    Durchschnittliche Teilchenzahl im Universum: 1 Teilchen pro 1 m3
    Zum Vergleich:
    Durchschnittliche Teilchenzahl Luft: 1020 (100.000.000.000.000.000.000) pro 1 cm3
  10. 4,55 Milliarden Jahre
  11. vor 13,7 Milliarden Jahren
  12. Pluto ist laut neuer Definition vom August 2006 kein Planet mehr. Er zählt nun zu den Zwergplaneten.
  13. Wobei das die ~30 Millionste Generation nach uns betrifft…

Rechenfehler nicht ausgeschlossen.

Tags: , , , , , ,

URL dieser Seite: https://inmemoriam.novacorps.com/2012/07/groessenwahn/
Dieser Artikel wurde am Samstag, 28. Juli 2012 um 13:37 Uhr erstellt.
Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt unter einer „Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ Lizenz.